Herzlichen Dank Anekdoteles für Deine Links zu den Studien aus u.a. England, USA und Australien.
Es scheint leider keine gut auffindbaren Studien für Deutschland zu diesem Thema zu geben, was ich schade finde.
Ich möchte erst noch einmal die Aussage vom Nacktmull zitieren:
Autofahrys verhalten sich im Durchschnitt rücksichtsloser gegenüber Radfahrys die einen Helm tragen, dies ist durch wissenschaftliche Studien belegt und eines der wichtigsten Gegenargumente [gegen die Helmpflicht].
Mich störte daran, dass es sich so liest, als ob das individuelle Tragen eines Helmes beim Radfahren ein erhöhtes Risiko durch rücksichtslosere Autofahrer darstellt. Daher wollte ich selbst diese wissenschaftlichen Studien lesen.
Im folgenden würde ich gerne auf Deine Nummerierung [1] bis [5] der Quellen/Studien bezug nehmen.
Erhöhte Risikobereitschaft durch Helmtragen?
Wie Du ebenfalls schreibst, widerlegt die von mir bereits zitierte Metastudie [3] die These, Helmtragen beim Fahrradfahren erhöhe die Risikobereitschaft des Radlers.
Hier sind wir uns offenbar einig, dass es keine veränderte Risikobereitschaft gibt, die zu einer erhöhten Gefahr durch Tragen eines Helmes führen könnte.
Geringerer Überholabstand durch Helmtragen?
Die Daten von Ian Walker, 2007
Interessant zur Stützung von Nacktmulls Aussage ist die Studie [1], die ich ja ebenfalls verlinkte, zusammen mit zugehöriger Originalstudie, Ian Walker 2007 und Disput um deren statistische Auswertungsmethoden.
Alle drei Studien verwenden die selben Daten, die Ian Walker 2007 veröffentlichte. Außer des "Radmesser"-Experiments (siehe weiter unten), konnte ich keine weiteren Daten zum Thema finden.
Ian Walkers Daten umfassen 2.300 Überholvorgänge auf einer unbekannten Wegstrecke britischen "suburban/urban road types", wobei der überholte Radler stets Ian Walker selbst war.
Es gab weitere Versuche, in denen Ian Walker eine Perücke trug, um als Frau wahrgenommen zu werden. Hierzu habe ich keine quantitiven Angaben finden können.
Resultate aus dem Briefing:
When overtaking the test bicycle, drivers passed closer when the experimenter
- rode towards the centre of the lane rather than the edge
- wore a helmet
- appeared male rather than female
Ein Resultat der Studie ist, dass Autofahrer näher am Fahrrad übeholen, wenn Ian Walker einen Helm trägt.
Meine Probleme mit den Daten von Ian Walker, 2007 für unsere Diskussion
Ich frage mich, ob eine Verkehrsstudie aus England (andere Mentalität, andere Fahrgewohnheiten, andere Gesetze, Linksverkehr, anderes Wetter) gut mit unserer Situation in Deutschland vergleichbar ist.
Hauptsächlich stört mich aber, dass an dieser Studie nur ein einziger Radfahrer und Fahrradtyp beteiligt war und dennoch aus den Daten generelle Rückschlüsse für alle Menschen (klein, groß, sicher, unsicher) und Fahrräder behauptet werden.
Fahrradprojekt “Radmesser” des Tagesspiegels, 2018
Ich war ganz froh, zumindest noch ein weiteres Experiment zur Thematik zu finden, nämlich das von mir bereits genannte Fahrradprojekt “Radmesser” des Tagesspiegels.
Folgende Vorteile sehe ich gegenüber Ian Walker, 2007 für eine Diskussion im deutschen Verkehr:
- der Versuch fand in in Berlin, also Deutschland statt
- die 100 Teilnehmer wurden aus 2.500 Bewerbern so ausgewählt, dass sie möglichst verschieden waren (item 6)
- es wurden innerhalb von 2 Monaten 13.300 km zurückgelegt und 16.700 Überholvorgänge vermessen
In diesem Experiment gab es also eine verhundertfachung des Fahrrad- und Fahrertyps, sowie eine Vervielfachung der Überholvorgänge (den genauen Faktor kann ich nicht nennen, da ich die keine Zahlen bei den "erweiterten Versuchen" mit Perücke fand). Einen Ausschnitt aus den Ergebnissen hatte ich zuvor zitiert.
Da es in der Diskussion um erhöhte Rücksichtslosigkeit gegenüber behelmten Fahrradfahrern geht, zitiere ich die für mich entscheidende Passage, die Ian Walker, 2007 hierbei widerspricht:
56 Prozent dieser gemessenen Überholvorgänge waren zu dicht, also unter 1,50 Meter. Ob sie dabei einen Helm trugen oder nicht, machte keinen statistisch aussagekräftigen Unterschied. Personen mit Helm bekamen in den Messungen eher etwas mehr Abstand.
Die drei anderen Studien
[2] befasst sich nicht damit, dass Autofahrer rücksichtsloser gegenüber helmtragenden Radfahrern sind!
Es geht untere anderem um die Auswirkungen der australischen Helmpflicht auf Kopfverletzungen und Anzahl der Radfahrer. Es wird auch auf eventuelle Vorteile einer Helmpflicht für Motorradfahrer verwiesen, die es in Australien anscheinend nicht gibt (gab).
[4] nimmt keinerlei Bezug auf das Tragen von Helmen!
Es geht vielmehr um eine angebliche Entmenschlichung von Radfahrern, die belegt werden soll.
[5] befasst sich nicht damit, dass Autofahrer rücksichtsloser gegenüber helmtragenden Radfahrern sind!
Es wird (für die USA) kritisiert, dass eine Fixierung auf Tragen von Helmen, andere Sicherheitsmaßnahmen für Radfahrer behindere.
Meine Schluss
Ich sehe, außer bei Ian Walker, 2007, keinen wissenschaftlichen Beleg für die Aussage "Autofahrys verhalten sich im Durchschnitt rücksichtsloser gegenüber Radfahrys die einen Helm tragen".