Alle von uns befragten Patientinnen und Patienten weisen laut Behandlerinnen und
Behandlern mindestens eine Diagnose aus einer der vier vorgegebenen Diagnosegruppen nach ICD-10 auf (vgl. Kapitel 2.1). Am häufigsten fanden sich Personen mit
einer affektiven Störung (30), des Weiteren gab es Betroffene mit neurotischen Belastungs- oder somatoformen Störungen (16), Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (12) sowie einer Störung aus dem schizophrenen Formenkreis (7). Knapp die
Hälfte der Betroffenen weist eine Doppel- oder Dreifachdiagnose auf. Aus den Einschätzungen der Behandlerinnen und Behandlern geht hervor, dass ein Großteil der
hier befragten Patientinnen und Patienten von ausgeprägten psychosozialen Beeinträchtigungen betroffen ist (88 Prozent der Betroffenen hatten einen GAF-Wert
<6053). Das durchschnittliche Alter unserer Befragten liegt bei 40 Jahren, ein Großteil
von ihnen ist bereits über viele Jahre psychisch erkrankt. So gaben viele Patientinnen
und Patienten an, dass erste Symptome ihrer Krankheit bereits in der Schul- und Aus-
bildungszeit auftraten. Im Durchschnitt ließ sich aus den Angaben der Betroffenen
eine Erkrankungsdauer von ca. acht Jahren ableiten.
Aber auch das Hartz-IV / Bürgergeld Regime ist sicher alles andere als hilfreich.
Insgesamt wurde Arbeitslosigkeit von den meisten Befragten als extrem negativ erlebt
mit massiven Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit. Dabei spielten auch die
mit der Arbeitslosigkeit verbundenen finanziellen Einschränkungen eine große Rolle.
Die SGB-II-Leistungen reichten nach Aussagen der Befragten gerade so zum Überleben. Geld für Unternehmungen blieb entsprechend nicht übrig, was soziale Kontakte und soziale Integration erschwerte und von einigen Befragten als Ausschluss
aus sozialen Zusammenhängen bis hin zur sozialen Isolation beschrieben wurde. Zudem sei es gesellschaftlich besonders negativ konnotiert, auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein.
„Ich fühle mich wohler, das [Geld] von der Rentenversicherung zu bekommen, als
vom Jobcenter. Jobcenter klingt (..) ja (..) die sind alle zu faul zum Arbeiten, haben
keine Lust zum Arbeiten, und (..) ich kann ja irgendwas machen, also fühle ich mich
viel kleiner.“ [AG 01 01 03]
„Dann lernt man auch mal nette Leute kennen, alles ganz toll, aber die haben keine
Lust jeden Tag bei mir auf dem Sofa zu sitzen, Kaffee zu trinken oder mit meinem
Hund um den Block zu laufen. Die wollen was machen. (…) Die wollen mal Essen
gehen, ich will auch mal Essen gehen, ja. Man will mal ins Kino gehen, ich habe aber
die Kohle dafür nicht, so einfach. […] So, und das gucken sich die Leute eine ganze,
mal eine Zeit lang an und dann sind sie genervt, ja, das ist, ist einfach so. Man kann
einfach nicht mithalten.“ [AG 04 01 08]
Die Betroffenen fühlten sich abhängig und minderwertig. Das gesellschaftliche Stigma gegenüber einem „Hartz-IV-Empfänger“, das
auf verschiedenen Ebenen zum Tragen käme (Familie, Nachbar, Jobcenter, Medien),
verstärkt diese negativen Emotionen weiter. Die Situation verschlechtere sich mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit; Desillusion, Ausweg- und Hoffnungslosigkeit
nähmen zu. Nur wenige der Befragten sahen in der Arbeitslosigkeit auch positive Aspekte, dabei ging es insbesondere darum, erst einmal Zeit zu haben, um sich „um
sich selbst zu kümmern“ und gesund zu werden.
Besondere Belastungen treten auf, wenn es zu offenen Konflikten mit dem Jobcenter
kommt. Die Hälfte der befragten Klientinnen und Klienten hatte laut eigener Aussage
bereits Konflikte mit dem Jobcenter, die zum größten Teil die finanziellen Leistungsansprüche betrafen. Nach Auskunft der Betroffenen kam es zu Konflikten, da seitens
des Jobcenters entweder materielle Leistungen zurückgefordert oder verzögert bzw.
gar nicht an die Klientinnen und Klienten ausgezahlt wurden. Die Betroffenen beklagten sich in den Interviews darüber, dass es bei Fehlern des Jobcenters, die die Klien-
tinnen und Klienten aufgrund von anfallenden Überziehungszinsen und Mahngebühren teilweise in finanzielle Nöte stürzten, keine Entschuldigung gegeben hätte.